Carsten Niemitz, Sprecher
der Gesellschaft für Anthropologie
Die Verabschiedung neuer
Gesetze in Großbritannien um die Gewinnung und Nutzung von menschlichen
Eizellen, Embryonen und Stammzellen hat ein großes öffentliches Echo
erzeugt. Die außerordentliche gesellschaftliche und ethische Bedeutung
dieses Themas veranlasst den Vorstand der Gesellschaft für Anthropologie
zu einer grundsätzlichen Stellungnahme.
Die Gewinnung von Stammzellen
hat das Ziel, sie zu differenzierten Zellen heran zu züchten, um fehlende
oder nicht funktionierende Zellen des gleichen Gewebetyps zu ersetzen, beispielsweise,
um derart kultivierte Herzmuskelzellen dem Herz eines Infarktpatienten zur Verfügung
zu stellen, oder bestimmte Hirnzellen für Parkinson-Kranke, u.s.w. - Zu
Methoden der Stammzellengewinnung, dem Stand der Forschung und ausführlichen
Hintergrundinformationen, siehe auch: www./fu-berlin.de/human-bio.
Bei der Gewinnung von Stammzellen
aus Embryonen müssen folgende ethischen Richtlinien gelten:
Das Leben eines Menschen beginnt mit der Verschmelzung eines Spermiums mit einer
Eizelle. Es fängt also mit der ersten Zelle an, welche die Erbsubstanz
von Vater und Mutter enthält, der sogenannten Zygote. Wird ein daraus entstehender
Embryo vernichtet, gleichgültig in welchem Stadium, so handelt es sich
nicht nur um Tötung menschlichen Lebens (wie es beispielsweise beim Absterben
menschlicher Zellen aus einer Gewebsprobe der Fall wäre), sondern zweifelsfrei
nur um die Vernichtung eines Menschen.
Man kann argumentieren, dass der Keimling für die Stammzellengewinnung
im Vergleich zum Feten beim künstlichen Schwangerschaftsabbruch nur aus
einem winzigen Zellhäufchen besteht. Dies ist zwar richtig, doch verkennt
das Argument die Tatsache, dass das Stadium der Entwicklung für die Definition
des Mensch-Seins völlig unerheblich ist.
Bezüglich dreier Probleme besteht öffentlicher Diskussions- und gesetzlicher
Entscheidungsbedarf:
1. In der gesamten öffentlichen
Diskussion taucht eine Konfliktabwägung zwischen den Rechten früher
Embryonalstadien des Menschen und jenen von schwerst erkrankten Personen praktisch
nicht auf: Es besteht nämlich die Frage, ob die Rechte schwerst und sonst
unheilbar Kranker das Lebensrecht der frühesten Keimlingsphasen nicht in
ähnlicher Weise einschränken, wie dies bei der Problematik des künstlichen
Schwangerschaftsabbruches der Fall ist. Beim künstlichen Abort geht es
um einen Konflikt existentieller Rechte der Schwangeren einerseits (nachrangig
auch ihrer Familie) mit jenen des werdenden Kindes andererseits. In diesem Paragraphen
verzichtet der Staat auf Durchsetzung des Rechts auf Lebensschutz für den
Embryo. Beide Problemkreise sind eng mit einander verwandt; da für den
zweiten Fall mit dem § 218 ein Gesetz existiert, für den Konflikt
zwischen Rechten von Patienten und Embryonen aber nicht, besteht ein ähnlicher
Diskussionsbedarf der Gesellschaft, wie er vor der gesetzlichen Regelung von
Schwangerschaftsabbrüchen bestand.
2. Während das Lebensrecht
früher Embryonen gesetzlich geschützt wird, bewirkt die "Pille
danach" etwa das Gleiche in einem ähnlichen Entwicklungsstadium. Hier
besteht ein rechtsfreier Raum. Es darf aber nicht mit zweierlei Maß gemessen
werden, da es um das Leben von menschlichen Embryonen geht. Auch dürfen
Frauen, die eine zugelassene Verhütungsmethode praktizieren, nicht kriminalisert
werden.
3. Die mögliche therapeutische
Nutzung eines bei der künstlichen Befruchtung entstandenen überzähligen
Embryos wäre sicher besser, als ihn in heute üblicher Weise zu entsorgen.
Wenn nach aktueller Kenntnis ein konkretes Forschungsziel zur Minderung menschliches
Leidens besteht und Tierversuche und andere Alternativen ausgeschöpft sind,
besteht hier sicher ein berechtigtes Interesse einschlägig erkrankter Menschen,
diese Embryonen zur Heilung ihrer Krankheit zu nutzen.
Kommerzialisierung: Unter
ethischen Gesichtspunkten ist ein Handel mit winzigen frühen Menschenleben
zur Gewinnung von Stammzellen genau so untragbar, wie der Handel mit allen späteren
Stadien menschlichen Lebens auch. Auch die kommerzielle Verwendung von Sperma
oder Eizellen für die Herstellung von Embryonen zu deren Verbrauch muss
als Beihilfe zu eben diesem "Verbrauch" gesehen werden. Auch dürfen
keine menschlichen Embryonen für einen therapeutischen Zweck oder für
diesbezügliche Forschungszwecke gezüchtet werden.
Selektion: Die vorgeburtliche
Selektion von Söhnen oder Töchtern ist Ausdruck von unterschiedlicher
Wertschätzung verschiedener Menschen und damit zutiefst unethisch. Es gäbe
dann (wieder) eher lebenswerte und weniger lebenswerte Merkmale. Daher muss
gelten, dass, mit Ausnahme einer schweren gesundheitlichen Indikation für
einen Schwangerschaftsabbruch, die Selektion vermeintlich besserer Eigenschaften
bestimmter Menschen, ob vorgeburtlich oder danach, grundsätzlich verwerflich
ist und deshalb geahndet werden muss.
Vor der Implantation eines "technisch" befruchteten Keimes im Uterus
der Mutter können in zunehmendem Umfang diagnostische Maßnahmen an
dem winzigen Keimling vorgenommen werden. Diese Präimplantationsdiagnostik
(PID) kann verhindern, dass Eltern, die sich eine Tochter oder einen Sohn sehnlichst
wünschen, ein schwer erbkrankes oder schwer behindertes Kind bekommen.
In diesem frühen Stadium zu selektieren und einen allem Anschein nach gesunden
Keimling zu implantieren, ist ethisch eher zu vertreten, als der Frau nach einem
Teil der Schwangerschaft gegebenenfalls die Entscheidung über eine Abtreibung
aufzubürden.
Verbrauch von Embryonen:
Der Verbrauch von menschlichen Embryonen für die Grundlagenforschung ist
in höchstem Maße bedenklich. Bei einer solchen Spende von Stammzellen
wird ein frühes Menschenstadium getötet, um in noch nicht absehbarer
Zukunft anderen Menschen zu helfen. Wenn dieses "therapeutische Klonen"
jedoch eines Tages möglich sein wird, müssen die Gesellschaft und
die gesetzgebenden Instanzen entscheiden, ob ohnehin zu verwerfende, "überzählige"
menschliche Embryonen (für die es sowieso meist keine Leihmütter gibt)
entsorgt werden müssen, oder ob sie dann schwer kranken Menschen zur Heilung
ihrer Krankheit verhelfen dürfen. In jedem Fall dürfte dies jedoch
nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis insbesondere der Mutter
geschehen.
Der bei der Kerntransplantation aus einer gespendeten Eizelle und einem eigenen
Zellkern etra für einen Therapieversuch künstlich gezeugte Embryo
ist der eineiige kleine Zwilling seines Kernspenders. Ihn zum Zweck der Behandlung
seines erbidentischen Bruders oder seiner Schwester künstlich zu erzeugen,
um ihn anschließend zu töten, ist - in scharfem Widerspruch zur britischen
Gesetzgebung - ethisch absolut nicht vertretbar.
Züchtung von Menschen:
Klonen zur Erzeugung von Menschen ist zwar durch eine UNESCO-Deklaration geächtet.
Jedoch wird es immer Menschen geben, also auch Forscher, die sich um solche
Ächtungen nicht kümmern. Hier muss auch gesetzlich und mit harten
Maßnahmen ethisch und politisch Vorsorge getroffen werden.
Vorrang der somatischen
Stammzellengewinnung: Die heute oft praktizierte Knochenmarkspende für
Leukämiekranke ist eine solche Übertragung von Stammzellen des Blutes.
Die Gewinnung von Stammzellen aus Kindern und Erwachsenen kann möglicherweise
bald zur Heilung eine Reihe ernster Krankheiten entwickelt werden; sie ist ethisch
unbedenklich, da sie nicht zu Beeinträchtigungen des Spenderlebens führt.
Forschungen an dieser Methode sollten unbedingt allen anderen hier diskutierten
Methoden gegenüber Vorrang haben.
Der Autor ist Professor für Humanbiologie an der Freien Universität
Berlin und Herausgeber des Buches 'Genforschung und Gentechnik – Ängste
und Hoffnungen', Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2000. e-mail: cniemitz@zedat.fu-berlin.de;
Tel.: 030 – 8385 2900
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